"Die bürokratischen Mühlen mahlen sehr
langsam"
Entwicklungshelferin Ingrid Halbritter berichtete über ihre
Arbeit und über die Verwendung der Spendengelder
Von Cornelia Nawrocki
ECHTERDINGEN - Längst ist es zu einer guten Tradition geworden, dass
Ingrid Halbritter einmal im Jahr im Rahmen einer öffentlichen
Veranstaltung über ihr Engagement berichtet und über den Einsatz der
gespendeten Gelder Rechenschaft ablegt. Seit 1998 arbeitet die
gebürtige Echterdingerin auf dem Balkan. Sie leitete
Bildungsprogramme in Südosteuropa und gründete die Vereine Dadalos
in Sarajewo und Pharos in Stuttgart mit. Ziel all dieser Projekte
ist es, in Südosteuropa einen Beitrag zur Demokratisierung zu
leisten (wir berichteten).
Viele Jahre war Ingrid Halbritter als festangestellte
Friedensfachkraft tätig. Seit einem Jahr ist sie freiberuflich als
Multiplikatorin und Trainerin in der Friedensbildung auf dem Balkan
unterwegs. Um neue Aufträge zu akquirieren und die chronisch klamme
Kasse zu füllen, reist Ingrid Halbritter immer wieder auch nach
Deutschland. Regelmäßig berichtet sie den Mitglieder des Vereins
Pharos von ihrer Arbeit, den verschiedenen Projekten und der
Verwendung der Spendengelder. Dieser Tage war sie bei der
Echterdinger Kirchengemeinde zu Gast. Seit einigen Jahren betreut
Ingrid Halbritter unter anderen die achtköpfige Familie M. Die junge,
allein erziehende Mutter und ihre sieben Kinder müssen noch immer in
einer baufälligen, viel zu kleinen Notunterkunft in Sarajewo
aushalten.
Die Kinder brauchen Platz, das Jüngste kommt nächstes Jahr in die
Schule, die Älteste ist 15 und macht eine Berufsausbildung als
Einzelhandelskauffrau. Im Sommer haben Frau M. und ihre Betreuerin
endlich einen bezahlbaren Bauplatz in einem Vorort von Sarajewo
gefunden, den der Verein Pharos für etwas mehr als 7000 Euro
finanziert hat. Doch dann habe der Papierkrieg mit den örtlichen
Behörden begonnen: Beantragung der städtebaulichen Genehmigung,
Vorlage beim Finanzamt für die Bezahlung der Grunderwerbssteuer,
Beantragung einer vorläufigen Baugenehmigung und, und, und. Die
bürokratischen Mühlen in Ex-Jugoslawien mahlen sehr langsam, erzählt
Ingrid Halbritter. "Oft kamen wir nur weiter, weil ich als
Ausländerin und Vertreterin einer Hilfsorganisation leichter Zugang
zu Beamten in hohen Positionen habe."
Der Geschäftsführer der Baufirma, die zugesagt hatte, für die
Familie kostenlos ein Haus zu bauen, sei über den Sommer kaum
erreichbar gewesen, da die wenigen Monate Hochsaison in der
Baubranche sind. Als endlich das lang ersehnte Treffen vor Ort
stattfand, gab es ein neues Problem: der am Hang liegende Bauplatz
ist nur schwer für große Baufahrzeuge zugänglich. Deshalb soll nun
erst einmal eine Zufahrtsstraße eingerichtet werden. Weil das neue
Zuhause auch eingerichtet sein will, organisieren die Mitglieder von
Pharos einen Hilfstransport. Seit Monaten werden Betten, Schränke,
eine komplette Einbauküche mit Geräten, Sofa und Sessel, Bettzeug,
Töpfe, Pfannen, Schüsseln, Teller, Besteck und vieles mehr
zusammengetragen, bei einem Vereinsmitglied zwischengelagert und
peinlich genau für die Zollerklärung notiert. "Die kinderreiche
Familie hat buchstäblich nichts, keine Möbel, kaum Küchenausstattung,
außer ein paar alten, verschmutzten Decken kein Bettzeug und so
weiter."
Die Echterdinger Firma Mages will dem Verein zu günstigen
Konditionen einen Lastwagen für den Transport der
Einrichtungsgegenstände nach Südosteuropa vermieten. Partner in
Sarajewo ist das Rote Kreuz, das als offizieller Empfänger fungiert
und die Befreiung von Zoll und Mehrwertsteuer beim entsprechenden
Ministerium beantragt.
"Die seit März eingerichtete Schulküche in Fakovici, einem Dorf in
Ostbosnien, läuft bestens. Die Zahl der Schulkinder hat sich von 16
auf 21 erhöht. Seit Anfang März bekommt jedes Kind während der
Schulzeit am späten Vormittag ein gesundes, warmes Mittagessen. Der
Speiseplan wird jeden Monat von einer Ernährungswissenschaftlerin
zusammengestellt, die ganz genau ausrechnet, wie viel Kalorien jede
Mahlzeit haben muss, welche Vitamine und Mineralien enthalten sind
und wie viel Gewicht die einzelnen Komponenten der Mahlzeit haben
müssen", berichtet Ingrid Halbritter stolz von einem weiteren von
ihr betreuten Projekt.
Durch die größere Schülerzahl habe der Verein Pharos das jährliche
Budget etwas erhöhen müssen. Darüber hinaus seien neue Stühle und
Tische gekauft worden und auch an der Finanzierung des Brennholzes
für die Heizung beteilige man sich. Außerdem versuchten die
Koordinatorinnen des Partnervereins "Golub" vor Ort unermüdlich, die
Eltern der Kinder zu ehrenamtlichen Arbeitseinsätzen sowie die
Gemeinde oder andere Geldgeber zur finanziellen Unterstützung des
Projekts zu bewegen.
Filder Wochenblatt vom 17.12.2008
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