"Wollen Leuchttürme errichten"
Ingrid Halbritter unterstützt als Entwicklungshelferin
Menschen in Bosnien
"Der Mensch ist nicht frei, wenn er einen leeren
Geldbeutel hat", sagt der Friedensnobelpreisträger, ehemalige
polnische Staatspräsident und Gewerkschaftsführer, Lech Walesa. Wenn
man Ingrid Halbritter fragt, wie sie Armut definiert, dann antwortet
sie mit einer Geschichte. "Ich habe kürzlich in Sarajewo eine Frau
getroffen, die bettelte, obwohl sie gar nicht wie eine Bettlerin
aussah. Als ich sie fragte, weshalb sie das tut, erzählte sie mir,
dass sie und ihre behinderte Tochter mit einer Rente von gerade mal
55 Euro auskommen müssen. Da kann ich nicht einfach wegschauen."
Diese kleine Summe liegt übrigens selbst in Bosnien deutlich
unterhalb der Armutsgrenze, die die Vereinten Nationen hier bei 90
Euro definierten.
ECHTERDINGEN/SARAJEWO - Nicht wegschauen zu können und Menschen
einfach ihrem Schicksal zu überlassen, das ist es wohl auch, was die
41-jährige Ingrid Halbritter immer wieder antreibt weiter zu machen,
jenen zu helfen die in Not sind. Seit 1998 arbeitet die gebürtige
Echterdingerin auf dem Balkan. Sie leitete Bildungsprogramme in
Südosteuropa und begründete die Vereine Dadalos in Sarajewo und
Pharos in Stuttgart mit.
Alle Projekte, die Ingrid Halbritter leitete, hatten zum Ziel, in
Südosteuropa einen Beitrag zur Demokratisierung zu leisten. Sie
setzen bei der Bildung an: in Schule, Universität, aber auch in
Nichtregierungsorganisationen. Dabei konzentrierte man sich vor
allem auf die demokratische politische Bildung.
Halbritter und ihre Mitstreiter wollten den Menschen das kleine
Einmaleins der Politik, die Grundbegriffe der Demokratie, vermitteln.
"Unsere Bildungsarbeit ist einige Jahre lang von der deutschen
Bundesregierung und anderen staatlichen Geldgebern großzügig
unterstützt worden. Das hat sich mit dem Ende des Stabilitätspakts
für Südosteuropa leider geändert. Für Entwicklungsarbeit steht kaum
mehr Geld zur Verfügung. Das bedeutet, dass ein Großteil unserer
Bildungsmaßnahmen nicht mehr stattfinden kann. Das ist sehr schade,
denn gerade Demokratiebildung muss langfristig angelegt sein, um
Wirkung zu entfalten".
Zuletzt arbeitete die aparte Frau drei Jahre als festangestellte
Friedensfachkraft. Im Frühjahr lief der Vertrag aus, seither ist sie
freiberuflich tätig. Sie arbeitet als Multiplikatorin und Trainerin
in der Friedensbildung und entwickelt didaktische Materialien. Damit
sie von dieser Arbeit leben kann, muss sie sich ordentlich zur Decke
strecken, denn Auftraggeber sind rar. Das Geld reiche gerade mal für
Miete, Essen und Auto. Extras wie Reisen oder anderer Luxus seien da
nicht drin.
Um neue Aufträge zu akquirieren und das schmale Budget aufzustocken,
reist Ingrid Halbritter immer wieder auch nach Deutschland.
Regelmäßig bereichtet sie den Mitglieder des Vereins Pharos von
ihrer Arbeit und der Verwendung der Spendengelder. Dieser Tage war
sie bei der Echterdinger Kirchengemeinde zu Gast. Dort berichtete
sie auch von den Projekten, die sie ehrenamtlich betreut. "Seit ich
auf dem Balkan lebe und arbeite bin ich natürlich auch mit Not und
Elend in Berührung gekommen. Man stolpert ja gewissermaßen auf
Schritt und Tritt über Kriegsopfer und Verlierer der gewaltigen
Umbrüche seit Anfang der 90er Jahre: ein fundamentaler Wandel des
politischen und Wirtschaftssystems, dazu noch die Erschütterungen
der Globalisierung - und dann noch der schlimmste aller Kriege, in
dem nämlich Freunde und Nachbarn plötzlich zu Kriegsgegnern werden!
So bin ich also immer wieder Menschen begegnet, die Hilfe brauchten
und nirgends fanden".
Wie zum Beispiel ein altes Ehepaar, das 1992 aus seinem Dorf
vertrieben wurde und nach Jahren des Aufenthaltes in einem deutschen
Asylheim 1998 in ihr wieder aufgebautes Haus zurückkehrte. Nun
hatten die beiden zwar ein Dach über dem Kopf, aber sie wussten
nicht, wovon sie leben sollten. Freunde und Bekannte in Deutschland
haben zusammengelegt, und die alten Leute konnten sich eine
trächtige Kuh, zwei Ferkel, ein paar Hühner und ein paar Säckchen
Maissaat kaufen. "Eine Existenzgrundlage für 900 Euro. So wenig
Geld, und doch so schwer zu bekommen!"
Was hier in Deutschland unvorstellbar scheine, widerfahre in Bosnien
noch vielen Menschen. Sie bekommen keinerlei Unterstützung und haben
nicht die Möglichkeit, Hilfe zu suchen oder sich selbst zu helfen. "Ich
begegnete diesen Menschen meist als Besucherin konnte aber ihre
Probleme nicht einfach vergessen", erzählt Ingrid Halbritter. Da sie
finanziell nicht helfen konnte aber Leute oder Organisationen kannte,
über Telefon, Computer, Internet und ein Auto verfügt, Fremdsprachen
und Projektanträge schreiben kann, wurde sie zur Vermittlerin. "Ich
habe Geld für alle möglichen Projekte auftreiben können, ein Mini-Internetcafe,
in dem damals recht isolierten Grenzort Orasje, ein
Kindertheaterprojekt, eine Jugendkultureinrichtung und eine kleine
Musikschule in Visegrad sowie einen Schulbus in Fakovici".
Doch nicht immer wird die Entwicklungshelferin aus Deutschland mit
offenen Armen empfangen. Die noch stark von Männern dominierten
Gemeinschaften lassen sich nur ungern von einer Frau was sagen und
machen auch schon mal Stimmung gegen sie. Doch da Ingrid Halbritter
deren Sprache spricht, lassen sich die meisten Konfliktsituationen
entschärfen.
Aufgabe des Vereins Pharos sei vor allem die Entwicklungsarbeit
durch Bildung und humanitäre Hilfe zur Linderung der Not. "Leuchttürme
zu errichten, darin sahen wir unsere Aufgabe", sagt Ingrid
Halbritter, die sich noch mehr Unterstützung für Pharos aus
Deutschland wünscht. "Wir machen alles ehrenamtlich,
Verwaltungskosten entstehen nicht". Schon für zehn Euro könne man
Mitglied werden, wirbt sie. Aber auch Spender seien willkommen und
Patenschaften möglich. Wenn man das, was man besitzt, mit anderen
teilt, sei das ein enormer Zugewinn, wirbt sie charmant um
potentielle Unterstützer.
[20.12.07, http://www.stuttgarter-wochenblatt.de/stw/page/detail.php/1595344]
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